BR-Klassik | The Complete Piano Etudes (German)

“THE COMPLETE PIANO ETUDES”
18.02.2015 von Helmut Rohm
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Ein durchaus gewaltiger, ein suggestiver Sog vermag auszugehen von der Musik des Amerikaners Philip Glass. Überlässt man sich den Wiederholungsmustern langsamer Stücke, so kann man in eine meditative Trance verfallen; schnell pulsierende und metrisch vielleicht gebrochene Klanggeschiebe vermitteln oft fast zwanghaft etwas von der Hektik des modernen urbanen Lebens.

Kompositionen von Glass beruhen gern auf irregulär verketteten Repetitionstexturen. Sie haben etwas Mechanistisch-Stereotypes, wollen aber nicht verstören. In kleinen harmonischen Wendungen oder rhythmisch-metrischen Details spielen sie mit dem Irritationsmoment; trotzdem bleiben sie süffig, fluide, leicht zu konsumieren. “Easy Listening” wohl, nicht aber “Easy Playing”. Die japanische Pianistin Maki Namekawa hat nun auf einer beim Label Orange Mountain Music veröffentlichten Doppel-CD alle zwanzig Etüden für Klavier solo mitreißend eingespielt. Und zeitgleich sind auch die Noten der auf zwei 2003 bzw. 2014 fertiggestellte Bücher verteilten Stücke im Handel erschienen, so dass dem Vergnügen, sich den subtilen pianistischen Fallstricken und Unregelmäßigkeiten in den Webmustern dieser Musik zu stellen, nichts im Wege steht.

EHERNES PULSIEREN

Gewiss, nicht jede der Philip Glass’schen Klavier-Etüden konfrontiert den Pianisten mit neuartigen spieltechnischen Schwierigkeiten. Geübt werden kann vor allem das Gleichmaß der Bewegung in der Überlagerung von metrisch geraden und ungeraden Figurationen, die Anmutung eines ehernen Pulsierens bis hinein in die harmonische Architektur der Stücke, auch die schiere Ausdauer in der Egalité des zeitlichen Flusses. Vielleicht mag man kritisieren, dass nicht beide Hände des Spielers vor die gleichen Probleme gestellt werden. Aber dies alles betrifft natürlich nicht den Hörer der Musik. Er kann unter diesen Etüden Stücke finden, deren strukturelle Statik sich bei zentriertem Lauschen unversehens zu verflüssigen scheint. So, als ob Farben sich aus ihren repetitiven Mustern lösten und sie in den unbestimmbaren Weiten des Atmosphärischen verschwimmen. Schweben wird möglich.

PHILIP GLASS: ETÜDEN FÜR KLAVIER

The Complete Piano Etudes
Maki Namekava (Klavier)
Label: Orange Mountain Music